Willi Baumeister

(1889 - Stuttgart - 1955)

Werkbeschreibung zu JACQUES CALLOT GEWIDMET, 1941
Aus amorphen Puzzleteilen setzte Willi Baumeister die Figurengruppe zusammen, die das längliche Format bevölkert. Der Betrachter versucht die Elemente Körperteilen zuzuordnen - Augen, Nasen, Beine, Köpfe. Sie scheinen zu schweben vor einem hellen Hintergrund, der durch einige Farbfelder gegliedert ist. Das Ölbild belegt seine Suche nach Urformen. Die Aufreihung, das Fehlen jeglicher Perspektive und der erdfarbene Hintergrund lassen an Höhlenmalerei erinnern.
Durch den Titel impliziert Baumeister eine Beeinflussung durch den Kupferstecher, Radierer und Zeichner Jacques Callot (1592-1635). In seinen Florentiner Jahren hat dieser sich vor allem auf die Darstellung von Festumzügen am Hofe mit kuriosen Gestalten und gesellschaftlich Ausgestoßenen spezialisiert. Einen Ablauf einer (Schauspiel-) Szene lässt sich auch bei Baumeister erahnen. Später wird Callot als Darsteller der Schrecken des Dreißigjährigen Krieges in die Kunstgeschichte eingehen. Damit gewinnt Baumeisters Werk eine weitere Dimension, die den Schrecken der Kriegsjahre, in denen das Bild entstanden ist, versinnbildlicht. Das Bild entstand im Jahr seines Mal- und Ausstellungsverbot, mitten im Kriegstreiben. Seine Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule in Frankfurt war bereits mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beschnitten worden. Die Zeit bis 1941 nutzte er für zahlreiche Ausstellungen im europäischen Ausland. Und auch in seinem Schaffen ließ er sich nicht einschränken und arbeitete trotz Überwachung und Verfemung künstlerisch weiter.
In den Kriegsjahren entstand auch ein Zyklus zum Gilgamesch-Epos mit 64 Blättern, welcher 1980 vom Freundeskreis der Stuttgarter Staatsgalerie erworben wurde. Die Sage, 2.600 Jahre vor Christus in Mesopotamien in der Stadt Uruk entstanden, beinhaltet zwei große Themen, die Suche nach der Unsterblichkeit und die große Flut. Die archaisch wirkenden Blätter ähneln in der Formensprache stark dem vorliegenden Werk und changieren zwischen Figur, Zeichensprache und Chiffren. Auch teils humoristische Züge der Figuren lassen sich in den Blättern erkennen. Daher scheint es naheiliegend, das Ölbild als eine Art Vorstudie zu sehen.
Baumeisters Ruhm als „Häuptling der Moderne“ brachte ihm nach Kriegsende eine Professorenstelle an der Stuttgarter Kunstakademie und zahlreiche Aufträge ein. Mehr als die Hälfte seiner Werke sind zwischen Kriegsende und Todesjahr 1955 entstanden. Auch kunsttheoretisch tat sich Willi Baumeister hervor, besonders durch seine Schrift „Das Unbekannte in der Kunst“ (1947), mit der er dem Publikum das Wesen und die Aufgaben der modernen Kunst nahebringen wollte. Gleichzeitig leistete das Werk einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der deutschen Abstraktion und war ein wichtiger Impulsgeber für die informelle Kunst. (E.W.)

Vita

1889
geboren in Stuttgart
1905 - 1907
Dekorationsmalerlehre
1905 - 1911
Besuch der Königlich Württembergischen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart
1914 - 1918
Kriegsdienst
1919
Meisterschüler bei Adolf Hölzel
1920
Ausstellung mit Oskar Schlemmer und Kurt Schwitters in Dresden
1923 - 1926
Ausstellungen im In- und Ausland. Besuch des Bauhaus in Weimar. Begegnung mit Wassily Kandinsky und Paul Klee
1927
Berufung zum Professor für Typografie, Werbegrafik und Stoffdruck an die Städtische Kunstgewerbeschule (Städelschule) in Frankfurt am Main; Mitglied im ring neue werbegestalter.
1931
Mitglied der Künstlergruppe Abstraction - Création; erste Monografie von Will Grohmann erscheint, Beginn der lebenslangen Beschäftigung mit vorgeschichtlicher Kunst.
1932
Bei Cassirer in Berlin letzte Ausstellung in Deutschland bis 1945
1933
Entlassung Baumeisters aus seinem Frankfurter Lehramt durch die Nationalsozialisten; bis Ende 1945 als entarteter Künstler diffamiert
1937 - 1938
Teilnahme an der Konstruktivisten-Ausstellung in Basel, Bilder von Baumeister werden in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München gezeigt; Auslagerung von Gemälden, Gouachen und Zeichnungen in die Kunsthalle Basel, um sie vor Zugriffen durch das Nazi-Regime zu schützen
1938
Teilnahme an der von Herbert Read organisierten Ausstellung "Twentieth Century German Art" in London; begegnet Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Joan Miró und Wassily Kandinsky
1941
Mal- und Ausstellungsverbot nach Verordnung der Reichskammer der Bildenden Künste; im Herbst reist Baumeister mit seiner Familie nach Verona, Venedig, Bologna und Florenz
1943 - 1945
Am 13. April 1943 stirbt Oskar Schlemmer; wegen der Bombenangriffe Übersiedlung nach Urach; Arbeit an seiner Schrift "Das Unbekannte in der Kunst", erlebt das Kriegsende in Horn am Bodensee
1946
Berufung als Professor an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart
1947
Baumeisters Schrift "Das Unbekannte in der Kunst" erscheint in Stuttgart; Bühnenbilder für das Ballett von Manuel de Falla "Liebeszauber" im Württembergischen Staatstheater Stuttgart
1948 - 1949
Beteiligung an der XXIV. Biennale in Venedig und am "Salon des Réalités Nouvelles" in Paris; Mitbegründer der Gruppe der Gegenstandslosen (seit Januar 1950 Gruppe ZEN 49)
1951
Teilnahme an der ersten Biennale (I. Bienal) in São Paulo, Preis der Biennale
1952 - 1953
Ausstellungen in New York
1954
Einzelausstellungen in Stuttgart und Paris; Freigabe und Rücktransport der 1937/38 in die Kunsthalle Basel ausgelagerten Bilder
1955
Am 31. August stirbt Willi Baumeister beim Malen in seinem Atelier in Stuttgart